Mein lieber Kokoschinski, da haben sie es uns ja wieder einmal gezeigt, die Amerikaner. Fernsehen, Fast Food, Facebook: was hat uns die Supermacht in den vergangenen hundert Jahren nicht an Errungenschaften beschert. Und jetzt sind die USA selbstverständlich bereits viel weiter als Europa bei der vernetzten Service-Ökonomie. „Die Digitalisierung der Gesellschaft ist in den meisten US-Köpfen soweit vollzogen und abgeschlossen“, bescheinigt sogar Journalist André Vatter nach dem Besuch der Amsterdamer SMICS Konferenz. Die „digitale Denke“ sei in Deutschland ein „trauriger Abklatsch des American Dreams, ein heruntergekochtes Derivat, viel zu kraftlos, viel zu spät“. Bezeichnend Scott Galloway, der in seinem Vortrag bescheinigt: „Europa ist ganz gut in Mobile. Alles andere können wir besser“.
Das sitzt. Und angesichts der endlosen Diskussionen, die wir in Politik und Gesellschaft in den vergangenen 2 Jahren ertragen mussten, wenn es um Verbraucherschutz, Urheberrechte und Datenkraken ging, ist das verkrampfte Verhältnis insbesondere der Deutschen gegenüber vernetzter Internet-Kommunikation nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch sollten die feinen Unterschiede zwischen den Netzkulturen nicht zu einseitig ausgelegt werden. So weist Gunnar Sohn in seiner Replik darauf hin, dass auch „die amerikanischen Unternehmen in der App-Economy schwächeln, wenn es beispielsweise um Kundendialog geht“ – und er trifft damit einen wunden Punkt.
In der Tat wachsen und entwickeln sich Innovationen in den USA vergleichsweise ungehindert: E-Mails und Chat-Dialoge gehörten zu Beginn des Jahrtausends fast schon zum „Mainstream“ wenn es um den amerikanischen „Customer Service“ ging. Web Conference und Collaboration haben ebenso aus dem Silicon Valley heraus die „alte Welt“ erobert. Es lohnt aber der Blick für die Details. „In vielen Bereichen haben wir Europäer die Dinge gründlicher zu Ende gedacht“, widerspricht Süleyman Arayan, Gründer der deutschen Softwareschmiede ITyX. Und er erwähnt ein Beispiel aus dem Alltag deutscher Serviceorganisationen. „Für viele Unternehmen in den USA beschränkt sich Kundenservice auf das Management von Kontakten.“ Ob per Telefon, E-Mail oder Internet: die Logistik des Verteilens von Kundenanfragen auf verfügbare Mitarbeiter steht häufig noch im Vordergrund. Hier waren und sind die USA technologische Vorreiter. „Viel wichtiger ist allerdings heute das Management der Inhalte“, erläutert Arayan. Service-Logistik ende in deutschen Unternehmen eben nicht mit bloßen Zuständigkeiten. „Deutsche Unternehmen wollen mehr aus den Dokumenten und E-Mails ihrer Kunden lesen. Sie denken in optimierten Geschäftsprozessen, priorisierten Vorgängen und Service-Leveln“.
Tatsächlich sind US-Unternehmen durchaus überrascht, wenn sie auf deutsche Gründlichkeit stoßen. Als ich selbst in den USA ein Service Center besuchte, fielen mir rund 20 Mitarbeiter auf, die in einem großen Raum Briefe öffneten und deren Inhalte auf Stapeln sortierten. Es war die Beschwerdestelle. Als ich fragte, warum man solch delikate Post nicht scannen und deren Bearbeitung durch entsprechenden Software-Einsatz beschleunigen würde, erntete ich nur Schulterzucken.
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